Ich erinnere mich noch gut an den Vorstandsbeschluss, dass sämtliche produktorientierte Kommunikation weltweit des Unternehmens über meinen Schreibtisch zu laufen habe. Das war im Jahr 2000, ich war für die globale Produktkommunikation zuständig. Kein Mitarbeiter – egal welchen Ranges – durfte Aussagen zum Unternehmen und seinen Produkten machen, die nicht von mir authorisiert waren. Selbst Vorstandsmitglieder kommunizierten nur mit einem der leitenden Kommunikatoren an der Seite. Es gab eine Zeichensprache, die bei Interviews und Gesprächen mit den Medien verwendet wurde, um Vorstandsmitglieder zu warnen, wenn diese sich auf zu glattes Eis begaben.
Natürlich wurden Pressemitteilungen mit dem jeweils zuständigen Management abgestimmt, aber man vertraute der Kompetenz der mit Kommunikation beauftragten Mitarbeiter – und so gab es sehr selten mal eine Diskussion. Auch und gerade in kritischen Situationen wurde die gesamte Kommunikation durch zwei, drei Personen gesteuert. So war eine Art Informationsmonopol in den Abteilungen für Konzernkommunikation, Produkt-PR und interne Kommunikation Gesetz im Unternehmen. Die Mitarbeiter hielten sich daran, denn ein Verstoß gegen das Gesetz hätte unangenehme Fragen zur Folge gehabt.
Heute, neun Jahre später, finden wir ein komplett verändertes Kommunikationsumfeld vor. Jeder kommuniziert, sei es über facebook, Twitter, Blogs oder Communities. Und so besteht das Monopol der Kommunikation nicht mehr.
Die Unternehmen erleben zunehmend den Wechsel von
„wir kommunizieren zu vielen“
zu
„wir kommunizieren unter vielen“
Die Filter und Multiplikatoren der klassischen Kommunikation verlieren an Bedeutung und es wird noch Jahre dauern, bis alle Unternehmen sich diesem Wandel ohne Angst und Mißtrauen stellen werden.
Statt dessen werden Privates und Geschäftliches zum Beispiel bei Facebook miteinander vermischt und jeder einzelne Mitarbeiter prägt mit seinen Aussagen, die er oder sie im Netz macht, das Image des Unternehmens mit. Ein schönes Beispiel dafür sind auch die Profile von Mitarbeitern bei Xing – allzu freimütig suchen Mitarbeiter dort „nach neuen Herausforderungen“ und verstehen garnicht, dass man das auch als Suche nach einem neuem Arbeitgeber auffassen kann.
Es hat sich noch etwas entscheidend verändert: Während früher die Profi-Kommunikatoren der Unternehmen fast ausschließlich mit den Medien im Kontakt waren und damit deren Multiplikationseffekt nutzten, hat sich die Kommunikation inzwischen auf einen Dialog mit dem Verbraucher ausgeweitet. Natürlich kommunizieren die Unternehmen auch weiterhin mit den Medien, wer sich aber darauf beschränkt, verpasst die größte Änderung in der Kommunikationsszene. Um es anders auszudrücken: Eine traditionell geprägte Pressearbeit reicht heute nicht mehr aus.
Pressearbeit und Öffentlichkeitsarbeit sind nicht das Gleiche
Unter Öffentlichkeitsarbeit oder Public Relations versteht man die zielgerichtete, dialogorientierte Kommunikation mit der Öffentlichkeit zur Schaffung von Vertrauen in das Unternehmen, in das Management und die Produkte oder Dienstleistungen. In vielen Unternehmen wird Öffentlichkeitsarbeit mit Pressearbeit verwechselt. Dabei ist Pressearbeit nur eine Unterdisziplin der Öffentlichkeitsarbeit. Zu professioneller Öffentlichkeitsarbeit gehört auch die Kommunikation mit anderen Zielgruppen, wie zum Beispiel Kunden, Mitarbeitern, Banken, Wettbewerber, mögliche Arbeitnehmer, Anwohner, etc. In der Praxis der Unternehmen spielen diese Zielgruppen zumindest in der Ansprache durch die PR-Experten leider oft keine, oder eine untergeordnete Rolle. Partiell übernimmt Teile der Kommunikation das Marketing, oft aber auch keiner.
Den sicheren Hafen verlassen und den Kontrollverlust akzeptieren
Die Erfahrung der Kommunikationsbeauftragten in den Unternehmen ist der Kontrollverlust in der Kommunikation. Wie vorstehend beschrieben, hatte ein PR-Verantwortlicher die Kommunikation zentral über sich selbst organisiert. Durch gute Medienkontakte konnte er bereits vorher wissen, was morgen in den Zeitungen zu lesen sein würde, er lenkte den Kommunikationsprozess weitestgehend. Gab es eine überraschende Wendung in der Berichterstattung, war der Standardspruch „haben Sie Ihre Journalisten nicht im Griff?“. Jeder PR-Schaffende hat diesen Spruch mindestens einmal gehört und manche erlagen der Versuchung darauf „Doch, gewiss!“ zu antworten. Nicht zuletzt deshalb ist der Begriff Pressesprecher eigentlich ein Begriff aus der alten Zeit, als Kommunikation noch leichter funktionierte.
Heute kann jeder einzelne Verbraucher mit seiner Bewertung der Unternehmensleistung eine Reichweite erzielen, der früher den Medien vorbehalten war. Dieser Prozess ist kaum zu kontrollieren und deshalb muss man sich mit ihm arrangieren. Im Griff haben, kann das keiner mehr, denn zusätzlich zu der Vielstimmigkeit ist ein gewisses Mißtrauen gegenüber PR-Leuten hinzugekommen. Strategische Unternehmenskommunikation versteht diese Veränderung und nutzt sie aktiv. Dabei werden die Mitarbeiter einbezogen – und so kommuniziert ein Unternehmen heute anders, als noch vor wenigen Jahren.
Social Media und Web 2.0 ist kein Trend mehr
Was jetzt in den Unternehmen als Trend ankommt, ist bereits nicht mehr als Trend zu bezeichnen, sondern hat sich längst durchgesetzt. Zuerst waren es die Early-Adopters, die als Unternehmenssprecher auch einen Blick auf Verbrauchercommunities warfen und dafür zumeist mit hochgezogenen Augenbrauen angesehen wurden, frei nach dem Motto „hat der nichts besseres zu tun?“ Verbrauchercommunities sind schon vor ein paar Jahren so groß geworden, dass diese Meinung revidiert werden musste. Denn durch ihre Größe und Vielfältigkeit auch im thematischen Sinne sind diese Seiten bei Suchergebnissen ganz vorne dabei – und stehen nunmehr auch unter verstärkter Beobachtung.
Es gibt Unternehmen, die die Communities nutzen, um ihrem Wettbewerb Schaden zuzufügen. Dummerweise kommt das regelmäßig raus und entpuppt sich dann als klassisches Eigentor. Der Grund für die Aufdeckung liegt meist darin, dass die Auftragsschreiber sich nicht so verhalten, wie die echten Schreiber. Und das macht deren Enttarnung relativ leicht.
Unternehmen werden heute anders wahrgenommen
Wenn Herr Meier aus dem Versand ein Facebook-Profil hat oder bei Xing eine Vorstellungsseite betreibt, kommuniziert er – und kommuniziert auch für das Unternehmen, dem er zugehörig ist.
Das bedeutet für Unternehmen, dass sie damit umgehen lernen müssen, dass der Herr Meier nun auch, wenn vielleicht auch unbewusst, für das Unternehmen kommuniziert. Community-Teilnehmer sehen Herrn Meier unabhängig von seinem Rang im Unternehmen, als Vertreter des Unternehmens und wenn Herr Meier sich in der Community daneben benimmt, fällt das auch auf das Unternehmen zurück. Auch die Vermischung von Geschäftlichem und Privatem kann zu Problemen führen. Bilder der letzten Party, wo dem Alkohol kräftig zugesprochen wurde, neben Bildern vom Arbeitsplatz, Äußerungen über den Chef und negative Aussagen zu firmeninternen Entscheidungen gibt es inzwischen im Internet zuhauf.
Es bedarf hier Regelungen für jedes Unternehmen, die einerseits Kommunikation nicht verhindern, aber andererseits die Interessen des Unternehmens wahren. Deshalb ist Unternehmen zu raten, hier aktiv zu werden und Spielregeln aufzustellen, die den Mitarbeitern kommuniziert werden müssen. Und da sind die Kommunikatoren des Unternehmens gefragt. Möglichst mit externer Unterstützung (ohne Scheuklappen) muss für die Online-PR des Unternehmens und seiner Mitarbeiter eine Richtlinie erarbeitet werden.
Presseseiten nerven oft
Als Nutzer von Presseseiten, zum Beispiel der Automobilindustrie, nervt es mich total, dass ich für jede Seite ein eigenes Login brauche. Ich brauche mal schnell eine Info, muss mich dann unter Angabe von zig persönlichen Daten registrieren, per Mail die Registrierung bestätigen und wenn ich Pech habe, dauert es einige Tage, bis das Unternehmen den Zugang freischaltet. Dazu kommt, dass die Webentwickler sich unterschiedliche Vorgaben für das Passwort einfallen lassen, ganz schlimm ist es, wenn das Unternehmen mir ein Passwort vorschreibt, das ich nun bitte zu nutzen habe. Also muss ich mir eine Datei anlegen, wo ich die ganzen zugedachten Passwörter verwalte. So wird alles schön kompliziert.
Texte stehen mit unzähligen HTML-Formatierungen zur Verfügung, unformatierte Texte gibt es kaum. Blöd, wenn man an der reinen Umarbeitung eines Textes eine Stunde arbeiten muss. Bilder werden – welch ein Service – als gezippte Dateien zur Verfügung gestellt. So spart man wertvolle Download-Sekunden, braucht dann aber deutlich mehr Zeit, bis die Daten nutzbar sind. Ich brauche keine Zip-Dateien, denn diese verlängern die Bearbeitung erheblich: Ich muss die Datei runterladen, in den Ordner gehen, die Datei entpacken, dann wieder im vollen Downloads-Ordner suchen und kann sie erst dann bearbeiten. So gehen jeden Tagen Stunden flöten, die man besser verwenden könnte.
Ich empfinde es als echten Service an der Öffentlichkeit, wenn Unternehmen ihre Presseseiten öffnen. Natürlich kenne ich die Diskussion, dass man damit den Journalisten ein Privileg nimmt. Das Privileg der Journalisten besteht aber auch weiterhin darin, Recherchen anzustellen und Bewertungen der Aussagen des Unternehmens vorzunehmen, die im Kontext der Branchensituation stehen.
Social Media Rooms folgen dem Grundsatz „keep it simple, stupid“, mach es so einfach, wie möglich. Sie erleichtern allen Beteiligten den Umgang mit Informationen. Und erzielen dadurch einen Wettbewerbsvorteil im Ringen um Aufmerksamkeit für die Informationen und Themen. Unternehmen sollten überlegen, ob sie nicht auch einen Social Media Room einführen, der einfache Verlinkungen ermöglicht und vor Allem den Zugang zu Informationen, Bildern, Videos und Texten erleichert.
Web 2.0 kommt in den Unternehmen an – aber viele wissen nichts damit anzufangen
Wir von Avandy spüren im Gespräch mit unseren Kunden noch viel Unsicherheit im Umgang mit Web 2.0 und den erweiterten Möglichkeiten der individuellen Kommunikation. Da gibt es Übertreibungen, es gibt aber auch Vorbehalte. Die Unsicherheit führt dazu, dass man – wie in den ersten Jahren des Internets – Berater anzieht, die jedoch zum Teil selbst mit der Materie nicht vertraut sind und deshalb Vorträge entwickeln, die der Realität nicht standhalten. Erfahrung zählt – und kein, och das können wir auch.
Ein ganz wesentlicher Punkt bei Social Media ist, dass es sich für jedes Unternehmen entwickeln muss. Hier allzu schnell Resultate einzufordern, wie man es vielleicht von der klassischen PR gewohnt ist, wird zu Fehlern führen, die erhebliche Auswirkungen haben können. Ein Kunde von uns prüft regelmäßig über Seitwert, ob sich das Ranking seiner Seite verbessert und wie die Seite im Vergleich zum Wettbewerb performed. Zum Glück sind wir da immer gut, sonst weiß ich schon, dass Fragen kommen würden. Aber: Social Media braucht Zeit und interessante Botschaften, die über das, was gemeinhin als Pressearbeit funktionierte, deutlich hinausgehen.
Und ein anderer Punkt ist wichtig: Online-PR unter Nutzung von Social Media ist teurer, weil zeitintensiver. Das Pflegen von Themenblogs, das Hochladen von Bildern bei Flickr, die Einrichtung einer Seite bei facebook, die Beratung von Mitarbeitern zur Gestaltung ihrer Profile und, und, und fressen viel Zeit.
Die Verführung ist da, jemanden damit zu beauftragen, der das mal eben nebenbei mitmacht. Aber genau das funktioniert meistens nicht. Ein Verkaufsleiter eines Kunden meinte im November zu mir: „Wenn wir das jetzt alles tun müssen, dann brauchen wir ja mindestens zwei Leute, die sich darum kümmern“. Er hat erkannt, dass Web 2.0 und Social Media für die Online-PR mehr ist, als nur ein paar Presseportale zu bestücken. Und damit sind wir wieder einen Schritt weiter auf dem Weg zur richtigen Wahrnehmung der Chancen, Herausforderungen und Risiken, die die moderne Kommunikation eröffnet.
Markus Burgdorf, Avandy GmbH
Kontakt zum Autor: Mail